Mittwoch, 23. Juli 2014

"Edwin, mir ist langweilig"

Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn sich Entwickler eine Fantasywelt aus der Nase ziehen, eine epochale Geschichte erzählen wollen und einer der ersten Sätze des Spiels, irgendeiner beliebigen Figur, lautet "Boah, mir ist so langweilig" oder "Hier ist echt nichts los". Hört man solche Worte auch noch vom Motivationsträger der Geschichte selbst, nämlich dem Protagonisten, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Spieler demnächst selbst laut "Langweilig" aufschreit. Wenn schon die Figuren keine vorzeigbare Motivation haben, irgendwas zu tun, wieso sollte der Spieler Interesse entwickeln? Er wird wohl kaum jubilieren: "Oh geil, mein Protagonist starrt den ganzen Tag an die Decke, statt irgendwas Sinnvolles zu tun".

Real Life First World Problems


Was ist "Langeweile" überhaupt? Im Wesentlichen ist es das dröge Gefühl bei einem [selbst-]erzwungenen Nichtstun oder bei der Ausübung einer unterfordernden Tätigkeit. Uns ist langweilig, wenn es uns eigentlich ziemlich gut geht, wir sonst keinerlei Probleme haben und uns um nichts wirklich Wichtiges kümmern müssen. Dann befinden wir uns in einer Art "Komfortzone", in der wir nichts tun und auch nicht wirklich Motivation gewinnen, uns mit irgendwas zu beschäftigen, da die Langeweile bereits Überhand gewonnen hat. Oder man könnte auch sagen: Man verzweifelt, weil man nichts Interessantes zu tun hat.

Glückwunsch! Du hast also eine uninteressante öde Fantasywelt erstellt, in der diverseste Figuren keinerlei Beschäftigung besitzen. Die Figuren besitzen weder Probleme, noch Sorgen, denn sonst würden sie ja über diese sprechen. Nope! Ihnen ist einfach nur langweilig. Du hast also einen Haufen Erwachsene Jugendliche erstellt, denen der Arsch nachgetragen wird und die keinen Strom für ihre XBone haben. Wie spannend, innovativ und reich an Fantasie!

"Öde" gibt es nicht


Wenn sich lediglich eine Figur gelangweilt äußert oder eine Gruppe von Personen in eine tatsächlich langweilige Situation gesteckt wird (z.B. eine endlose Warteschlange beim Amt), ist das verkraftbar oder verständlich. Wenn jedoch deine gesamte Fantasywelt mit gelangweilten gesichtslosen Nobodys zugeschissen ist, lässt sich daraus schon ableiten, dass du völlig uninspiriert und weitestgehend planlos an dein Spiel herangegangen bist. Selbst wenn nicht - das ist der resultierende psychologische Eindruck.

Welches Argument besteht denn, dass niemand etwas zu tun hat? Kein Strom um das Handy aufzuladen? Internetausfall? Ihr dürft eure Welt nicht so sehen, als wäre unsere verwöhnte Generation durch eine Zeitreise z.B. ins Mittelalter gesteckt worden und nun hat niemand was zu tun. Damals herrschten ganz andere Zeiten, in denen jeder anpacken musste, um die Familie am Leben zu halten.

Da gab es keine Supermärkte, kein Bankkonto und Kartenzahlung. Eventuell machte die Regierung durch die Steuerpolitik auch noch Ärger, Verbrechen gingen um, Wachen und Soldaten nutzten ihre Position schamlos aus. Es grassierte Rassismus und "Hexen" wurden gejagt. Ganze Dörfer hungerten - und wenn sie etwas zu Essen hatten, war es über längere Zeit vielleicht nur Brot, also recht einseitig und arm an Vitaminen. Es grassierten Krankheiten, Plagen diversester Art gingen um, es existierte keine Gesundheitspolitik, Reinlichkeit und sauberes Wasser waren nicht gerade selbstverständlich. Bauern mussten sich um Vieh und Acker kümmern. Brennholz war wichtig, um durch die Winter zu kommen (Isolierungen oder Heizungen gab es auch nicht). Wie kann einem da bitte "langweilig" werden?!

Natürlich werden für Fantasywelten Abstriche gemacht, eventuell die technologische Stufe erhöht, diverse Details ausgeschlagen (weil das ja noch immer ein Spiel ist) und einige Probleme existieren bereits im Vornherein nicht, weil vielleicht die Politik verdammt gut ist. Doch selbst wenn einige Punkte wegfallen, werden durch euer Worldbuilding neue Probleme, Sorgen, Beschäftigungen und Jobs hinzugefügt. Eure Welt ist eventuell voll mit Monstern, Magie, Dungeons, Schätzen, epischen Objekten, ominösen Wetter-, oder Himmelserscheinungen, zivilisierten Rassen und "natürlich" ist die gesamte Welt in Gefahr. Das sind Bestandteile, die von Haus aus episch sind und Abenteuer versprechen. Wie kann einem da bitte "langweilig" werden?!

Ach, ich weiß schon: Der Gelangweilte ist einfach ein verfluchter Faulpelz! Wie "schön", dass er in der Regel der Protagonist ist. Das bringt ja echte Vorfreude...

Psychologischer Knockdown


Selbst wenn wir all diese tollen epischen Dinge haben, die wir tun könnten, kann selbstverständlich Langeweile unter NPCs oder Protagonisten aufkommen, denn für sämtliche Figuren ist deine Fantasywelt ihr persönlicher Alltag. Das heißt, was uns "episch" erscheint, ist für sie nach einer gewissen Zeit eher "Meh".
Doch trotz dieser Nachvollziehbarkeit, sollte nicht vergessen werden, dass der Spieler psychologisch bei Laune gehalten werden muss.
Betritt der Spieler beispielsweise einen neuen Ort und bekommt die Meldung: "Hey, Willkommen, seh dich um. Aber lass dich warnen, es ist hier echt langweilig", ruiniert das schon ein wenig den Erkundungs-, und Abenteuerdrang.

Wenn den Figuren wirklich langweilig ist, lass den Spieler wissen, wieso dem so ist und presse ihm nicht einfach eine Kontext-befreite Aussage ins Gesicht. Nehmen wir an, wir sprechen einen Bauern an, der neben seinem Feld sitzt. Er könnte sagen: "Die Kohlköpfe sind noch nicht ausgewachsen und der Regen hat heute schon meinen Job erledigt. Ich kann jetzt eigentlich nur noch herumsitzen".
Oder: "Eigentlich wollte ich in die Stadt gehen, aber ich muss hier zwingend wegen einer Lieferung warten. Meine Güte, ist das langweilig".

"Edwin, mir ist langweilig"


Und zum Schluss will ich auf den Titel dieses Artikels eingehen. Das ist ein klassisches Zitat aus "Die letzte Schlacht der Elfen (Teil XY)" von Ankluas, gesprochen von der dämonischen Freundin des antagonistischen Protagonisten. Diese Spielreihe macht auf diversesten Ebenen so viel falsch, aber man erkennt zumindest, dass der Ersteller Ideen hatte. Und - im Gegensatz zu einigen anderen Spielen - besitzen seine Figuren sogar Persönlichkeit.
Besagte Figur ist nun jedenfalls eine halbdämonische Frau, die von Natur aus gerne tötet, quält und eigentlich immer was zu tun braucht, was mit Action zu tun hat. Sobald irgendein Ereignis keinen Spaß mehr macht, ist ihr sofort wieder langweilig. "Langeweile" und ein Mangel an Kontext funktioniert in diesem Fall, weil es aus ihrer Persönlichkeit hervorgeht. Natürlich mies erzählt und unfreiwillig lustig, aber es gehört zu ihrer Figur.

Und so verhält es sich auch mit vielen anderen Problemen, die ich allgemein in meinem Blog ansprach. Aus Schwächen lassen sich Stärken konstruieren. Aus Ausnahmeerscheinungen, können interessante Twists und Charaktere entstehen. Es kann mit Erwartungen gespielt werden. Das wollte ich eigentlich nur noch zum Schluss loswerden.

Und das waren damit auch meine heutigen Gedanken.

[MG]

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